„Brutale Spiele“

In der Regionalbahn unterhält sich ein Elternpaar mit dem Sohn – geschätzt frühes Teenageralter – über Computerspiele. Kommunikationsforsche* hätten ihren Spaß daran, im folgenden seien lediglich die Freuden von Diskursgeschichtlern, einen Raum von Meinbarem mit einer Mischung aus Faszination und Belustigung – den diese ermöglicht hinreichendes Einlassen bei Distanzwahrung – zu betrachten aufgenommen: Die Mutter weist darauf hin, daß alle Amokläufer soetwas gespielt hätten. Der Vater hingegen argumentiert, daß Jungen ja das Bedürfnis nach soetwas hätten, auch früher wurde schon draußen mit Spielzeugwaffen gespielt. Die Mutter engegnet, daß Gewalt im Wohnzimmer ja auch was mit der Stimmung dort mache.

Nur mühsam konnte sich d* Autor* Lachen oder Intervention verkneifen. Wobei morphogenetischer Felder wie essenzialistische Männlichkeitsvorstellungen schon gar keine Widerlegung mehr wert scheinen.1 Zumal beide bekanntermaßen diskursiv tief verankert sind.2 Irritierend wirkte eher der Glaube an einen direkten Zusammenhang von Amokläufen und Computerspielen. Ist denn nicht bekannt, daß die US-Army behauptet, Computerspiele setzen die Kampfkraft ihrer Rekruten herab? Ist denn nicht bekannt, daß Gewaltverbrechen in den letzten Jahrzehnten rückläufig sind? Ist denn nicht bekannt, daß die ‚“Killerspiel“hetze‘ auf sachlich schlechtem Pseudo-Journalismus beruht? Ist denn nicht bekannt, daß strukturähnliche Scheinkorrelationen zu Brotessen oder Bowlingspielen konstruiert werden können?

Gleichwohl „wissenschaftliche Studien haben gezeigt“ ohnehin als Garant für problematische Aussagen gelten kann, dürfte Gegenforschung vor gewissen Problemen stehen. Neben dem leidigen Problem der interessensgeleiteten Finanzierung sehen sich Frosche* mit dem altbekannten Unterschied von Korrelation und Kausalität konfroniert, der Unsichtbarkeit des nicht/schwer Operationalisierbaren, sowie der kategorialen Vorannahmen ihrer Erhebung.3 Demnächst auf diesem Blog: Ein Rant zur Geißel der Gegenwart: Statistik. Auf jeden Fall verweist es auf das weite Feld der Wissenschaftskritik und -ehtik, v.a. die Frage der günstigsten (gegen)Strategien.

Nun vermag das Konzept des Sündenbocks keinen Anspruch auf Originalität erheben, lediglich auf Bequemlichkeit. So soll hier auch nicht auf Schützenvereine gezeigt werden.4 Es fällt schon auf, wiesehr neue Medien – von Romanen, über Comicheften und Filmen, Fernsehen5 bis zu Computerspielen – über die Geschichte als Jugendverderbend und gesellschaftsgefährdend dargestellt wurden.6

Auch diese Art von „Wissen“ hat konkrete Folgen. Vor merkwürdigen Regulierungen wie Totalverboten ließe sich noch auf Lobbyarbeit dieser einkommensstarken Unterhaltungsindustrie hoffen – mehr eine Hoffnung, als eine Verschwörungstheorie, Korruption ist zumindest noch ein nachvollziehbares, rationales Motiv – und o.g. Teenager wird es andere Methoden der Zeitverschwendung finden; vielleicht gar dadurch unabhängig gemacht vom Betriebssystem der meisten Spieleveröffentlchungen und damit irgendwann zum Linuxtaliban. Doch bleiben nichtsdestoweniger problematische Ausschlüsse zu fürchten. So könnte Isolation von Abweichenden rationalisiert werden („Computernerds sind alles potentielle Amokläufer“).7 Somit wären demnächst8 Diskurse zu Schulamokläufen, sowie das Phänomen des Antinerdismus genauer zu untersuchen.


1 Zu Letzterem sei dennoch folgender Textempfohlen.

2 Zum Thema „Esoterik“ vgl. jene Artikelfußnoten.

3 Vgl. etwa Markard, Morus: Einführung in die Kritische Psychologie; Hamburg 2009; S. 33-63.

4 Auch wenn sich schon fragen ließe, warum – Moore nicht auffallend – in „Bowling for Columbine“ die europäischen Zahlen erschossener – gleichwohl gering im Vergleich mit den USA – für Deutschland doch herausragend sind.

5 In der Schulzeit de* Autor* – de* bekannt ist, daß der Zeitzeuge der schlimmste Feind des Historikers ist – war dies immer schnell als Hauptursache für jegliche Probleme in der Klasse ausgemacht, aber eigentlich sah – nach jeweils eigenen Angaben – niemand fern.

6 Vgl. hierzu etwa Youstories oder diesen Vortrag jener Autorin.

7 Demnächst auf diesem Blog: Eine Reihe zu Antinerdismus im Rahmen Faches „Geekstudies“.

8 Damit wurden in diesem Artikel drei weitere Artikel angekündigt:

  • Statistik, die Geißel der Gegenwart
  • Schulamokläufer Diskurse
  • Antinerdismus Dispositiv

1 Responses to „Brutale Spiele“

  1. […] Es kann gar nicht überbetont werden, wir normal wir (…) mittlerweile sind! Nur bei Killerspielen gilt die Katharsishyothese nicht; da brauchen wir sie auch nicht auch noch bestätigen und unsere […]

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