Klimawissenschaftspraxis

Friedrich Merz kritisiert Greta Thunberg und co: Klimaaktivisten fehle Kompromissbereitschaft.

Linda Teuteberg (FDP, MdB) fügt einer Kritik Luisa Neubauers an dieser Kritik hinzu: „Weder mit dem Grundgesetz noch mit einem aufgeklärten Wissenschaftsbegriff vereinbar.“

Eigentlich scheint es müßig auf solche Kommentare einzugehen, da sie offensichtlich nicht durch ernsthafte Wahrheitssuche motiviert sind, sondern lediglich eine Gruppe mit ihren – wissenschaftlich fundierten – Forderungen abzuwehren versuchen. Doch verweisen sie auf zu interessante Probleme um sie unkommentiert zu lassen: Wie ist das Verhältnis der Politik zu wissenschaftlichen Fakten? Und spricht ein antiessenzialistisches und antirealistisches Verständnis von Wissenschaft – wie es auch die Kulturellepraxis entschieden vertritt – gegen den Umgang mit Fakten zum Klimawandel der Fridays for Future Bewegung?

Zunächst einmal kommt „Fakt“ von „facere“, auch Tatsachen sind gemacht. Dabei fließt auch Soziales mit ein, sie sind nicht metaphysisch letztbegründbar und v.a. niemals als endgültig zu betrachten. Da es aber schwer fällt Fehler einzugestehen und häufig Wiederholtes den Anschein von Wahrheit bekomnmen kann, läßt sich Letzteres kaum überbetonen, genauer: Einer Metaphysik der entgültigen Wahrheiten sollte ein Verständnis veränderbarer Wissensstände gegenübergesetzt werden. Das bedeutet nicht, Fakten wären beliebig, also eine Annahme sei so gut wie jede andere. Entscheidend ist der Prozeß und damit die Methoden ihrer Entstehung.

Modelle zum Klimawandel wurden im wissenschaftlichen Betrieb immer wieder getestet und ihre Prognosen sind beängstigend nahe am – nämlich häufig unterhalb des – Eintreffenden. Damit sind diese bei aller Vorläufigkeit und Unsicherheit härter als Resultate unseres Alltagsverstands. Es herrscht innerwissenschaftlich über die von FFF verwendeten Fakten extrem wenig Disput. D.h., so interessant es sein könnte mit Aktivist*innen über Wissenschaftstheorie zu diskutieren, an der Richtig- und Wichtigkeit ihrer Forderungen ändert das nichts.

Das Coronavirus, der Klimawandel, Mitch McConnell und andere Naturkatastrophen gehen keine Kompromisse ein. Merz fordert dennoch von Klimaaktivist*innen offen Kompromißbereitschaft. Viele Maßnahmen gegen Covid19 – so Schulschließungen zu vermeiden – scheinen halbherzig bis widersprüchlich in dem Sinne, daß ihnen keine konsistenten Annahmen über das Virus zugrunde liegen können. Es scheint, das Wahrheitsspiel des Systems Politik lege keinen Wert auf Konsistenz der handlungsanleitenden Annahmen und Inputs hätten die Form von Interessen oder Meinungen, zwischen denen dann im Laufe des politischen Prozesses eine möglichst ausgleichende Lösung gefunden werden müsse. Dann ließe sich allenfalls kritisieren wer warum wie viel Einfluß hat.

Eine Wahrheitssuche wie sie die Erkenntnis- oder Wissenschaftstheorie vorschlägt ist somit weder vorgesehen noch zielführend. Das Handeln nur auf gesicherte Fakten basieren zu wollen – möglicherweise gar auf einer Vorstellung unverrückbarer – und unterschiedliche Interessenspositionen zu ignorieren verunmöglicht den politischen Prozeß. Hinzu kommt, daß Fakten nicht für sich sprechen, sie müssen in den Prozeß eingebracht werden. Damit haben sie ersteinmal die äußere Form von meinungs- oder interessengeleiteten Eingaben oder erreichen gar die Politik häufig nur im Rahmen von solchen. Sie können sich – gerade bei laufender Forschung zu etwas neuen wie Covid19 – ändern und Wissenschaftler*innen sind nicht immer gleicher Ansicht, weshalb stets eine ungerade Anzahl an Expert*innen eingeladen wird. Da nur eine begrenzte Anzahl von Expert*innen gehört werden kann, braucht die Streuung und Verdichtung der Aussagen nicht der im Wissenschaftsbetrieb entsprechen.

Dies ist nicht nur ein Problem der Repräsentation des wissenschaftlichen Diskurses. Eine wissenschaftliche Eingabe kann als spezielle Art der Information betrachtet werden. Wissenschaftliche Fakten verändern sich anders und bisweilen deutlich schneller als politische Positionen. Wissenschaftler*innen und Wissenschaftskommunikator*innen können Laien nur eine unterkomplexe Darstellung ihres Wissens, nicht das Wissen selbst präsentieren. Damit können wissenschaftliche Fakten nicht dem eigenen Urteil in einer Weise – so dem vielbeschworenen GMV –  unterworfen werden in der es für andere Informationen gewöhnlich oder gar geboten wäre. Wissenschaftliche Tatsachen sind komplett anderen Prozessen inkl. Grenzen der Aushandlung unterworfen als Laien zugängliche.

Es sollten also Unterschiedliche Informationsarten angenommen werden, die grundlegend – also unabhängig vom konkreten Inhalt – unterschiedlich behandelt werden müssen. Das können wir als Ontologie bezeichnen. Damit ist in diesem Sinne keine metaphysische Überlegung über das So-sein der Welt gemeint, sondern Voraussetzungen die Welt wahr-zu-nehmen und über diese Wahrnehmung zu kommunizeren benennen und überdenken zu können, auch gerade welche Ontologie wir für spezielle Ziele – so z.B. Umgang mit einer Pandemie – brauchen.

So ließe sich zusammenfassen, daß im politischen Umgang mit Covid oder dem Klimawandel eine unzureichende Ontologie für wissenschaftliche Fakten zu beobachten ist. Darüber hinaus viel Bedarf nach guter Wissenschaftskommunikation – inkl. Vermittlung von weniger unterkomplexen Wissenschaftsvorstellungen – besteht, Repräsentation ein Problem ist und es einen Ort geben sollte, für den Wahrheitssuche – Faktenproduktion – im Vordergrund steht – das ist auch ein Ansatz zu Kritik am derzeitigen Wissenschaftsbetrieb und seiner Finanzierung -, eine unbedingte Universität.

1 Responses to Klimawissenschaftspraxis

  1. […] werden müssen, handeln; auch wenn die Übergänge fließend sind. Beispielsweise könnte eine Ontologie für Fakten fehlen oder das alte ZK-Syndrom am Werke sein, daß eine Gruppe von Entscheidungsträer*innen sich schnell […]

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