Die Waffen und die Wörter

16. März 2024

Kihihi – Begriffspolitik beim US Diskurs um Schußwaffen; über das Thema weit hnaus spannend:

In diesem Vid berichtet ein Waffenexperte – „Gun Jesus“ Ian McCollum gehört wirklich zu den wenigen, die deutlich mehr Ahnung als Meinung auf seinem Kanal verbreiten -, daß er von Pro-Waffenleuten verbal angegriffen wurde, daß er den Begriff „Assault Rifle“ nutzte und stellte klar, daß er eine klare technische Definition (übrigens auf „Sturmgewehr“ zurückgehend) verwendet, während die Gegner*innen des „Assault“ begriffs sich auf den „Assault Weapons Ban“ in den USA zwischen 1994 und 2004 beziehen, für welchen der Begriff „Assault“ seines Erachtens tatsächlich polemisch genutzt wurde.

Fangen wir mal mit einem in diesem Kontext vermutlich sogar eher kontroversen Punkt an: das „Assault Weapon“ Verbot war m.E. auf technischer Ebene wirklich äußerst inkohärent; unter der forderung, daß ähnliche sachen ähnlich behandelt werden sollten und der Annahme, daß die Gefahr, die von Schußwaffen ausgeht sich auf ihre technischen Eigenschaften reduzieren lassen. Also was auch einige Linke „materalisch“ nennen würden, bevor sie dann trotzdem wieder die „die anderen Denken das Falsche“ Kritik pullen. Ich würde sogar so weit gehen, daß viele Aspekte des Assault Weapon Ban symbolisch und historisch statt materiell-technisch motiviert waren. Zumal ein technisch sinnvolles Verbot so umfassend hätte sein müssen, daß es nicht durchsetzbar gewesen wäre und mit dem technischen kontrastiert werden sollte.

Diese These läßt sich leicht mit Beispielen unterfüttern: die TEC-9 „Faustfeuerwaffe“ ließ sich allzu leicht auf vollautomatisch umrüsten und da sie symbolisch mit „Gang Violence“ in Verbindung gebracht wurde, ist es erstmal nachvollziehbar, daß die Poliker*innen meinten, dieses Ding und alles was ihr ähnlich ist von der Straße zu kriegen. Diese Argumentationsfigur zwiebelt auch so sehr, da derzeit in den USA von rechter Seite die AR-15 Plattform – ausgelaufenes Patent begünstigt einen gigantischen Ersatzteilmarkt – wegen symbolischer Aufladung und Verfügbarkeit am häufisten für politisch motivierte Verbrechen verwendet wird. Doch da „TEC-9 und Ähnliche“ keine gesetzestaugliche Definition ist, wurden – in einigen Bundesstaaten bis heute – Pistolen mit Magazinschacht vor dem Griff als „Assault Weapons“ verboten. Was dann auch offensichtlich für Bösedinge™ eher ungeeignete Sportpistolen (zu sperrig, zu teuer, zu kleine Magazine, zu wenig Wums, Beispiel) betraf. Es sei darauf hingewiesen, daß in Deutschland Nunchaku auch für Budôgebrauch, auch mit Sollbruchstelle und Polsterung für Bösedinge™ ungeeignet gemacht verboten sind, das Phänomen ist also ein Verbreitetes.

So weit, so klar. Doch spricht keine Seite so genau darüber, daß trotz dieser symbolisch-historisch bedingten Inkohärenz die Zahl der Schußwaffentoten in den USA während des „Assault Weapons Ban“ deutlich geringer als zuvor und danach war. Von rechts nicht, da solche Zahlen ihr Weltbild gefährden und sie immernoch pseudo-anthropologisch arugmentieren können, daß eine Person diskret entweder durch eine Waffe zu* Täter*in werde oder nicht und ja auch gutes mit einer Waffe tun könne. Daß die Zahlen was Anderes belegen wird ignoriert, kleine Wahrscheinlichkeiten auf Große Zahlen sind auch etwas zunächst Kontraintuitives. Von liberal wird hingegen v.a. die Frage nicht berührt, was nun genau warum an diesem Gesetz gewirkt habe. Die Denksenke ist, daß die Debatte weitgehend stark emotionalisiert auf Pro und Contra beschränkt ist.

Nun ließe sich fragen, wo wir hier derartige denkerische Fliegengläser haben, also leidenschaftlich dualistische – „Dazwischen“ Positionen mitgemeint, da diese den Dualismus und damit dessen konstitutives Außen affirmieren und idR. doch versteckt zu einer Sichtweise neigen – Debatten wie z.B. Nahost, Rauchverbote, selbst Tempolimit – auch wenn in letzteren beiden Änderungen nötig waren bzw. sind nicht grundsätzlich anderer Betrachtung bedürfen. Aber „Dialektik“ oder gar „Dekonstruktion“ vorzuschlagen ist nichts womit sich jemand Freund*innen macht, zumal unter „Dialektik“ meist die moskauer Version („das Gegenteil von Schlecht führt zum Besseren und was dieses ist wählen wir willkürlich aus“) und unter „Dekonstruktion“ meist „widerlegen“ verstanden wird. Und Abstraktion ja eh als intellektueller Trick gilt.

Interessant an dieser – glücklicherweise doch recht fernen – Debatte ist, daß das Reflexhafte „das (Wort) darfst Du nicht sagen!“ zwar gerne mit links („Political Correctness“/“Wokeness“) in Verbindung gebracht wird – halt erfolgreiche rechte Metapolitik, daß diese Begriffe so verfingen, selbst mittlerweile unter selbstidentifiziert linken -, aber hier mindestens genau so nach Art eines Pawlow’schen Reflexes von Rechten verwendet wird. Hier auch noch gegen einen, der eigentlich grundsätzlich eher auf ihrer Seite ist; sonst ist Doppelmoral nach Zugehörigkeit ja eher Kern ihres Urteilens.

Begriffspolitik ist ohnehin etwas, das Sprachpurist*n, also Leute mit einem merkwürdig essenzialistischem Verhältnis zu Zeichenbedeutung verkennen: Sprache ist nie ein neutrales Medium. So scheinen nur dieAnderen® rhetorische Kniffe zu verwenden, während die eigene Seite sagt wie es wirklich™ ist. In den Kommentaren kann diskutiert werden, ob Schraubendreher in einem Kontext ohne Verwechselungsgefahr mit einem Schraubenzieher i.e.S. „Schraubenzieher“ genannt werden dürfen oder ob die psychologisch-philosophische Trennung von „Angst“ und „Furcht“ unbedingt konsequent in der Alltagssprache eingehalten werden muß bzw. warum technische Halbbildung besser zur Prätention als linguistische taugt.

Hier geht es erstmal nur um die Strategie, neue Begriffe einzuführen, um zum einen Zugehörigkeiten schneller ausmachen und signalisieren zu können, zum anderen darin der Gegenseite einen Nachteil dabei zu verschaffen. Eigentlich ein Vorgehen, das von konservativer, auch sogar speziell schußwaffenaffiner Seite verwendet wird:

Beispiel 1: „Suppressor“ statt „Silencer“, obwohl die ersten Schalldämpfer unter letzterer bezeichnung verkauft wurden. Wer den Wandel nicht mitmacht und „Silencer“ sagt, ist damit nicht nur als Gegner*in markiert, sondern muß sich auch technisches Unverständnis vorwerfen lassen, also nicht nur nicht den (aktuellen) „Fachbegriff“ zu verwenden, sondern ein ‚Splaining ertragen, daß so ein Ding die Waffe ja gar nicht komplett leise (die besten um die 125dB) macht.

Beispiel 2: „atom-“ zu „nuklear-„. Strategisch ähnlicher Kniff, nur hier kommt auch noch hinzu, sich auch von der eigenen früheren Nutzung und dessen Konnotationen befreien zu wollen. Wahrer Kern – haha – hieran ist leider, daß Gegner*innen bisweilen tatsächlich unterinformiert – und wahrlich, ich sage Euch: Den eigenen Kopf zu nutzen ist immer eine ethische Frage – sind.

Auch hier wieder die Denksenke von Zweiergegensätzen: Atommüll ließe sich durch Kernbeschleuniger schneller zersetzen als dies mit reinem Ablagern geschieht. Aber da die Befürworter*innen von Atom-/Kernkraft (ich bin übrigens konsequent gegen starke und schwache Kernkraft, ich lehne jegliche Materie ab!) an den Mythos der „Endlagerung“ glauben, also daß sich das Zeug ohne Folgekosten „entsorgen“ (ein Euphemismus, der genau hierfür entwickelt wurde) ließe, die Gegner*innen aber befürchten, neue Reaktoren – zumal falls die mit positiver Energiebilanz laufen – zu bauen wirke dem Ausstieg aus dieser Energiegewinnungsform entgegen, werden sich wohl keine politischen Mehrheiten für eine eigentlich sinnvoll scheinende Altlastenbeseitigung finden.

Beispiel 3: „Wahlcomputer“ vs. „Wahlmaschinen“, eine wichtige Vorentscheidung wie diese Geräte in der Debatte gedeutet werden. Wobei ein Schachprogramm auf einem Wahlcomputer zu installieren diese Vorlage dann doch äußerst elegant verwandelte.

Beispiel 4: Über Zulässigkeit von Folter oder das Trolley-Dilemma zu sprechen erhöht die Neigung die „utilitaristische“ Lösung zu akzeptieren.

Beispiel 5: Im deutschen Militärkontext wird gerne das Fugen-S überall – auch an grammatikalisch früher gebotener Stelle – weggelassen, dem Vernehmen nach wegen der Unteroffiziersbesserwisserei: „Es heißt Essenmarken, es heißt ja auch nicht Spiegelsei“. Solche leute frage ich übrigens schockiert: „Sie sind Maoist?! Damit ist doch jeder Landmann für Sie ein Landsmann!“

„Alles ist beliebig“ zu behaupten wäre auf so vielen Ebenen ein Fehler, daß dies was für andere Artikel ist. Und den Gründungsgestus der Philosophie, die (rhetorisch-psychologische) Wirkung von der Geltung eines Arguments zu unterscheiden müssen wir nicht verwerfen. Doch heißt das nicht, nach einer Reinheit der Sprache und Erkenntnis streben zu müssen. Unabhängig von der Ontologie ist die Praxis immer messy. Die Macht funktioniert nur reibungslos, so lange niemand genau versteht wie sie funktioniert. Und so sehr es sich im Zeitalter „alternativer Fakten“ lohnt nach den methodisch Gefestigten zu suchen, es wäre ein Fehler anzunehmen, daß aus Wirklichkeiten Möglichkeiten oder Ziele ohne starke Zusatzprämissen folgten. Von daher sollten wir unsere Wünsche lieber in die Ziele als in die Einschätzungen stecken.


Fahr Doch Porsche

6. März 2024

„Verkehrsminister Wissing kritisiert GDL-Chef Weselsky scharf“ (Tagesschau). Es könne nicht angehen, daß jemand in einer Führungsposition seinen Job macht, das auch noch im Interesse seiner Untergebenen – Wähler*innen seien schließlich Marketingopfer, nicht die Kundschaft – und dabei solch einen Elan zeige, „wie stehen denn wir Anderen denn da?! Der Streber macht ja nicht nur seinen Job, die Bahn lahmlegen ist immernoch MEINE Aufgabe, dafür werde ich gut bezahlt!“ Auf die Frage, ob das nicht Korruption sei antwortete er: „Wir bevorzugen die Bezeichnung ‚Wirtschaftskompetenz‘, sehen Sie, gezielte Spitzenförderung ist deutlich günstiger als allen was abzugeben. Steuergelder, die nicht den Unternehmen zugute kommen führen letztlich alle in den Kommunismus. Für ’sozialen Frieden‘ [ja, die Anführungsstriche waren im fiktiven Interview deutlich zu hören, Anm.d.Red.] bezahlen wir schließlich Polizei und Bundeswehr und das nicht zu knapp.“


Epistemischer Horror

29. April 2023

Nehmen wir mal an, jemand fragt einem kleinen Geschwisterteil ähnlich immer wieder „warum“. Dagegen helfen keine Integrale oder Grenzwerte, Ihr habt es mit einem im Koffeinzeitalter schwer durch schierling bekämpfbaren Problem zu tun: Der Philosophie; das konkrete Problem nennt sich übrigens „Münchhausen-“ oder „Agrippas Trilemma“.

Anzunehmen, Wahrheiten seien nicht metaphysisch letztbegründbar führt in die Postmoderne, wo alles Meinung ist und nicht nur die der anderen. Damit wäre alles Macht, das muß mit aller Macht verhindert werden. Also schnell den den Boten erschießen, denn Desinformationsschleudern wie Trump haben bekanntlich zu viele unverständliche französische Philosoph*n gelesen und lehnen das Wort „Wahrheit“ – auf Truth Social – ab.

Wie sieht jetzt aber der praktische Umgang mit dem Begründungstrilemma aus? Von Popper bis Habermas: Wir können ja einfach disktutieren, bis eine Feste Basis gefunden wird, geteilte Sätze/Regeln auf denen sich dann aufbauen läßt. Doch ist dies wirklich die bessere Alternative? Denn sie führt in:

HILBERTS PLENUM


Zwischenruf: Zeitdignosen

27. April 2023

Beim Lesen einer sozialhistorisch ausgerichteten Zeitschrift: „Erspar‘ mir diese Zeitdiagnosen, wir sind hier nicht im Feuilleton, Diggi!“

Bei aller Kritik an Neopositivismus und Analytischer Philosophie:

„Seit man begonnen hat, die einfachsten Behauptungen zu beweisen, erwiesen sich viele von ihnen als falsch.“ –Bertrand Russell [ach komm‘, das findest Du in jeder zweitklassigen Zitatsammlung oder auf Wikiquote]

Jeder Ansatz enthält aktive Kopplungen [Fleck, in der Monographie, da irgendwo am Kapitelanfang, vermutlich am Anfang des letzten Drittels] bzw. metaphysische Annahmen [Lakatos dieser eine allzitierte allgemeinartikel zur Popper-Kuhn Debatte, der auch im Schilpp war, habe ich garantiert noch auf dem Reader], d.h., voll Beweisbarkeit oder auch nur Axiomatisierung von brauchbaren Theorien wird nicht möglich sein und – gerade als jemand gerade ohne Denkkollektiv – undiszipliniertes Denken ist an sich erstmal auch nicht Schlechtes. Nur sind vorwissenschaftliche Gewißheiten in wissenschaftlichem Kontext ein massives Warnzeichen, daß wir es stärker mit Ideologieproduktion als Forschung zu tun haben.

Zwar fließen immer vorwissenschaftliche Präsideen [Fleck, die Präideen waren recht weit vorne in der Monographie; oder mache ich’s mir schwer und schaue nochmal für ein „vgl.“ in die Aufsatzsammlung, ist immer anregend] ein, doch sollten diese reflektiert und in einen methodischen Prozeß eingebettet übernommen werden. Wenn beispielsweise ein Phänomen als breitenwirksam dargestellt wird, bietet sich – bei aller Kritik an rein quantitativer Forschung, an ihren „Rändern“ lädt sie wiederum zu vorwissenschaftlichen Annahmen und Schlüssen ein – ein quantitativer Beleg an, sei es auch nur, daß wir uns dank Methodik manchmal selbst überraschen können [Luhmann, keine Ahnung mehr wo genau, wird sich googlen lassen].


Studieren fügt Ihnen und den Menschen in Ihrer Umgebung erheblichen Schaden zu

24. April 2023

Die meisten Fächer sagen in der Einführung: „Wenn Sie endgültige Wahrheiten wollen, gehen zu den Theolog*n“ – da war ich, da hatten sie auch keine, die evangelische Theologie arbeitete methodisch recht sauber. An Objektivität glaubten nur noch große Teile der Psychologie und merkwürdige Teile der Philosophie. Doch wie äußert sich das in der Praxis oder gar nach dem Studium?

Laie: Wissen

Anfänger*in: „Wissen“

Statistikopfer: Mit einem p-Wert von …

Wiesel: Höchstwahrscheinlich

Prätentiös: Eine schwedische Studie hat gezeigt

Lügner*in: Wirklich ganz wahre Wahrheit

Relativist*n: Vom Standpunkt d* x aus …

Rechthaber*innen: …, der der einzig emanzipatorische ist

Fortgeschrittene: Es kann beobachtet werden

Historiker*in: Fakten [deutlich überschaubar-kleiner; das Wort läßt offen, ob Faktizität durch Übereinstimmung mit einer beobachter*innenunabhänigen Realität oder aus den etablierten Methoden der Disziplin begründet ist]

Poststruk: Eine in diesem Kontext recht stabile diskursive Formation

Resigniert: Wissen, [mit seufzlaut] was auch immer das ist

Plüscheinhorn vor Straßenschild "Philosophenweg"
Die „Huhu“ Laute können auch einfach nur die Taube der Minerva sein …

Plüschie Theorie #10: Harmlosigkeit

14. April 2023

Cute(ness) Studies sind ein ganzer – und in skandalösem Gegensatz zu Critical Bootstudies und Plüschtierstudies institutionell etablierter und finanzierter – Forschungszweig, der allerdings eher essenzialistisch die Ursachen des Phänomens im Kindchenschema verortet und v.a. es nutzbar zu machen sucht. Doch da Plüschtiere gerade in der Psychologie leider immernoch überwiegend im Bezug auf Kinder (Entwicklungspsychologie/Therapie) erforscht werden, handelt es sich zumindest um einen Bereich aus dem die Plüschtierstudies Wissen (was auch immer das ist) importieren können. So beispielsweise die Erkenntnis, daß Cuteness der Empathie hilft oder daß die sehr unterschiedlichen Ausprägungen an unterschiedlichen Orten beschrieben werden; wobei Japan/Kawaii hier natürlich besonderes Interesse zukommen dürfte.

In sofern sind die Bedeutungen von „Niedlichkeit“, „Cuteness“ und „Kawaii“ auch nicht vollständig Deckungsgleich. Doch soll dies nicht in Wortorakel ausarten. Es ließe sich argumentieren, daß hier ersteinmal ein Erleben – ein Gefühl? – bezeichnet werden soll und wir das gar nicht zwingend begrifflich-rational einordnen müssen.

Doch wäre eine mögliche ungefähre Annährung Cuteness als „nicht bedrohlich“ zu fassen. Analytische Philosophie zeigt allerdings oftmals spektakulär, wie Begriffsinhalt und -umfang nicht deckungsgleich zu kriegen sind, so wirft auch dieser Fall zuverlässig Gegenbeispiele auf: was ist mit Murder Mittens, spezieller junger Katzen, die ihre Krallen und Reaktionen noch nicht gut kontrollieren können? Oder Großkatzen die sich „niedlich“ verhalten? Zu wissen daß diese Tiere gefährlich sein können ändert ja nichts an ihrer Niedlichkeit. Nur sind die abgebildeten Tiere auf solchen Bildern nicht aggressiv. Ein guter Teddy hingegen ist auch ein Beschützer, also für d* Companion zum Kampf bereit; aber nie gegen.

„Nicht-Bedrohlichkeit“ ließe sich relativ verstehen: Also Bedrohlichkeit wird durch Niedlichkeit nicht komplett ausgelöscht bzw. Niedlichkeit ist nicht die absolute Abwesenheit von Bedrohlichkeit, aber – u.a. auch durch den Aspekt des Spiels – wird sie faßbarer, kontrollierbarer, sie läßt sich – u.a. auch empathisch oder gar empathisch mit unentdeckten Aspekten von sich selbst – integrieren. Hier mag auch die Brillanz von Paraplüsch oder Cat’s Café liegen: Das Thema psychische Störungen ist unheimlich, aber im Rahmen von Niedlichkeit können wir uns anders damit auseinandersetzen. Und also mit uns und unseren Ängsten; oder anderen nicht bewußten Aspekten des Selbst. Der Abgrund ist für unsere kuscheligen Companions nie unendlich tief.

Plüschkroko mit Kuschelkissen schaut starrt besorgt in die Ferne

Die Verknüpfung von Nicht-Bedrohlichkeit und Cuteness ist nicht grenzenlos, das stärkt die These: Gerade im Horrorgenre können Cutenessästhetiken als Unheimlichkeitsverstärker eingesetzt werden, also etwas scheinbar Niedliches wirkt um so erschreckender wenn wir wissen – Wissensvorsprung d* Zuschauer*innen als Kernelement des Suspense -, daß es böswillig oder versteckt gefährlich ist. Daher kann Instrumentalisierung von Cuteness nur scheitern! Wird Cuteness von ihrer Harmlosigkeit getrennt oder verfolgt sie einen zu starken Zweck, zumal einen, der außerhalb der Erwartbarkeiten von Cutenesswelten liegt, unterstreicht das dann nur noch das Dystopische ihrer Oberfläche. Damit liegt eine gewisse Widerständigkeit in Cuteness, ihre Harmlosigkeit ist nicht mit Unschuld zu verwechseln. Und damit kommt ein Spezifikum des Plüschtierstudies-Ansatzes in der engen Verknüpfung zu Haraways Cyborgs zum Tragen: Cuteness kann gut auf eine Welt erweitert werden, die nicht nur Kinder oder Kindliche bewohnen, aber sie zeigt sich widerständig gegenüber einer Welt, die das konsequente Spiel und damit unsere Bereitschaft zur Suspension of Disbelief bricht. Cuteness in diesem Sinne ist immer ein geteiltes „als ob“.

Ein äußerst interessantes Beispiel, das funktioniert wenn wir diese Konzepte fluffig, mit Luft zum Atmen verwenden ist Fallout Equestria, eine Crossover-Fanfiction der postapokalyptischen Fallout Spielereihe und My Little Pony: Friendship is Magic mit zahlreichen weiteren Fanfiction-Spin-offs. Auf den ersten Blick scheinen die zugrunde liegenden Welten in extremem Gegensatz zu stehen, doch tatsächlich nutzt Fallout Harmlosigkeitsmarker als Referenzen auf ein bestimmtes Bild von 1950er Jahren und frühem diskursiven Umgang mit Nukleartechnologie, dies auch klar als Unheimlichkeitsverstärker und klar mit Schrecklichem noch stärker – oftmals ironisch – kontrastiert. Dennoch fügt sich „My Little Pony“ – ja ursprünglich eine Serie für jüngeres Publikum – erstaunlich gut ein in diese Welt, zumal mit der Hintergrundgeschichte der Fanfiction, daß der Schauplatz Equestria, welches wir aus der MLP-Serie kannten im Zuge eines Krieges schon vor der Katastrophe zunehmend totalitärer wurde. Dies wirkt stimmig.

Und damit wären wir bei der unschönen Seite des Flauschens. Leute, die Werte von Flausch mit vollem Ernst anstreiben, also sehr enge, sehr harmonische Gemeinschaften wünschen sind gefährlich. Spätestens im ernsthaften Konfliktfall besteht die Gefahr, auf harte Muster zurückzufallen – hüten wir uns vor Schönwetterrelativismus! – und v.a. muß sich in solch einer geteilten Vision die Ursache gestörter Harmonie in einem Außen lokalisieren lassen, also ausschließen. Metaphorischer: Ratten auf Oxytocin sind zwar flauschiger zur Ingroup aber bissiger gegen die Outgroup. Eigene Ausschlußerlebnisse helfen dagegen leider nicht zwingend, Wünsche nach Aufgehen in Gruppe und Identität können leider wie flauschige Solidarität erscheinen.

Cutenessästhetiken können einen der Auswege – auch vor alleinseligmachenden Wahrheiten sei grundsätzlich nie genug gewarnt – aus dem aufgeworfenen Dilemma zeigen: die Sehnsucht zuzulassen, ohne dabei zu vergessen, daß sie ins Fiktive führt. Wir also „nur“ gemeinsam spielen.

„Blasphemie schützt uns vor der moralischen Mehrheit in den eigenen Reihen, ohne die Notwendigkeit von Solidarität preiszugeben. Blasphemie ist nicht Apostasis. Ironie handelt von Widersprüchen, die sich nicht – nicht einmal dialektisch – in ein größeres Ganzes auflösen lassen, und von der Spannung, unvereinbare Dinge beieinander zu halten, weil beide oder alle notwendig und wahr sind. Ironie handelt von Humor und ernsthaftem Spiel.“ –Haraway, Cyborgmanifest

Die unmöglichen und zwingend widersprüchlichen Ziele zusammenhalten: wir wissen, die Welt ist nicht wie wir sie wünschen und Positivdenken kann toxisch sein. Fiktion ist nicht Faktizität, aber wie werten wir nicht eines zugunsten des anderen herab? In Sehnsucht nach Gemeinschaft liegt immer die Gefahr in epistemischen Gleichschritt zu geraten oder gar individuellen Veranwortungssinn – v.a. epistemischen – zu verlieren. In Befreiung steckt immer die Gefahr der moralischen Entgrenzung; speziell wenn wir Moral als geteilte Regeln, Ethos als individuellen Selbstentwurf verstehen. Wir brauchen einen anderen Umgang mit solchen Gegensätzen – den von postmodernen Cyborgs: „weary of holism, but needy for connection“? – Erlösung als Unsinn, Unsinn als Erlösung!

Cuteness jenseits des Abgrunds heißt wissen, daß die Welt nicht schön ist, aber versuchen, sie dennoch manchmal schön zu gestalten.

Und so möchte ich die #Plüschtierstudies verstanden wissen: Flausch kann umschmeicheln, aber Flausch kann auch ersticken, Ignorenz ist nicht Unschuld, sondern Sünde. Aber das sollte uns nicht davon abhalten unsere – immer auch soziale – Welt zu gestalten. „Wenn es Wirklichkeitssinn gibt, muß es auch Möglichkeitssinn geben“ [Musil Bd.1 S. 16]. Daher immer auf der Suche nach der Gemeinschaft ohne Totalität.


Cutenessrevolution anderswo #10 Cat’s Café

18. März 2023

Auch wenn Katzencafés schöne Orte sein können, hier geht es um einen Webcomic. Der irgendwie emotionale Kernpunkte der Plüschtierstudies auszudrücken vermag [Beispiel].

Plüscheinhorn mit Nase auf Kissen schaut traurig in die Ferne.

Die Punkprinzessin und ich hassen ja eigentlich Positivdenken – noch schlimmer als positivistisch denken -, aber trotz teils äußerst optimistischer Inhalte hat hat dieser Comic etwas, das in eine vollkommen andere andere Richtung geht. Wieso?

Hypothese: In gebräuchlichem Positivdenken liegt eine harte Normativität, Subjekte sind zu diesem Mindset verpflichtet, sowohl für das eigene Wohlergehen als auch den sonst ausbleibenden Erfolg – was damit auf das Individuum abgeladen wird. Auf die Denkfigur der „self forfilling prophecy“ fixiert – und nicht etwa experimente in denen die Wahrnehmung von Depressiven näher an der Faktenlage ist als bei gesunden – aufbauend wird eine Ontologie der an sich schönen Welt vorgeschrieben.

My little Pony Meme: "Stop smiling, life isn't beautiful" https://knowyourmeme.com/photos/526000-my-little-pony-friendship-is-magic

Dieser Webcomic vertritt einen anderen Ansatz. Der Autor schreibt über den fiktiven Ort, „It’s a place […] where you can feel safe to be yourself.“1, was erstaunlich nahe an Teddy, dem alten Meckeropa ist: „den besseren Zustand [..] denken als den, in dem man ohne Angst verschieden sein kann.“2

Cat’s Café schreibt uns keine Sicht der Dinge vor, bereits der Stil gibt zu, daß die Sichtweise manchmal gewollt naiv ist; ohne dabei Abstriche in der Tiefe zu machen. Hier kommen Themen wie psychische Erkrankungen vor, d.h. im Gegensatz zum Positivdenken ist dies Cutenesscontent von und für Personen die in den Abgrund geschaut haben. Sozusagen Cuteness jenseits des Abgrunds.

Kroko bei einer Tasse Kaffee schaut aus dem Fenster

Ohne Vorschrift wie die Welt ist, bleibt es die Kontingenzen zu suchen, sie doch manchmal ein wenig gestalten zu können – im inneren wie äußeren. Fantasie ist erforderlich! Position der Plüschtierstudies wäre, die Fantasie so ernst nehmen, daß Wünsche nicht mit Wahrnehmung verwechselt werden müssen.

Plüschtiere an die Macht!


1 Selbstbeschreibung auf o.g. Seite stets am unteren Rand.

2 Adorno, Theodor W.: Minima Moralia : Reflexionen aus dem beschädigten Leben; Frankfurt/M 1951; S. 67.


Hard Science?!

1. März 2023

Auch wenn Mathematik und die wformalissenschaftlichen Teile der Informatik bekennendermaßen nichts über die Welt aussagen, speziell handwerklicher orientierte „Scientists“1 bauen gerne eine Überlegenheitserzählung auf dem2 vermeintlichen Unterschied von Natur- und Geisteswissenschaft(en).

Also die „hard sciences“ brüsten sich mit ihrem Erfolg bei den „soft problems“, während ihr formal-ontologischer Modellierungrahmen3 bei härteren4 offensichtlich unzureichend5 ist.

Doch treffen sie hier weder experimentell, noch formal begründbare Urteile, daß Geistes-, Kultur und Sozialwissenschaften wegen ihrer experimentell oder formal nicht begründbaren Urteile unterlegen seien.6

Bei solchen Denkunfällen Fefe’schen Ausmaßes möchten wir diesen Leuten zurufen: SHUT UP AND CALCULATE!


1 Die etymologische Wurzel ist btw. Skē̆i, trennen, woher auch Schisma, Schizophrenie und klugscheißen kommen.

2 Auf der sicheren Seite wären wir mit einer Wittgenstein’schen Wortfamilie, auch wenn interdisziplinäre Methodencluster oder gar durchgehende Standards, wie Methodik, Transparenz, Reproduzierbarkeit (in der Geschichtswissenschaft durch die drei F: Fragestellung, Forschungsstand, Fußnoten) sinnvolle Annahmen sein könnten. Grundsätzlich aber sind Wissenschaftsideale ohnehin historisch beweglich, denkstil-/paradigma/-forschungsprogrammgebunden und umkämpft.

3 So ihnen denn überhaupt klar ist, daß sie modellieren und nicht die Welt wie sie wirklich ist abbilden. Wer das glaubt – gratuliere zur übersinnlichen Wahrnehmung – stelle sich mal zur Übung einen Tisch – Philosoph*n mögen offensichtlich keine Tische – vor, den niemand wahrnimmt.

4 Teils sogar schon, wenn überhaupt Lebendiges involviert ist. U.a. Systemtheorie bot hier einen Versuch der Erweiterung. Baron René Garde weist darüber hinaus darauf hin: Hard Sciences mit der Lösung von Soft Problems zu beauftragen hat uns hierher gebracht.

5 Auch wenn bei Freud eine Struktur ärztlichen Denkens vorliegt, die tiefer als die im Fach mittlerweile auch übliche experimentalstatistische Methodik zu gehen scheint, Polemiker*innen könnten anmerken, daß der anhaltende Erfolg der Psycholoanalyse auch mit pauschaler Abwendung von der Wissenschaft an sich angesichts ungeeigneter spezieller – neopositivistischer – Wissenschaftsideale im nichtklinischen Teil des Fachs Psychologie zu erklären ist.

6 Wir können also feststellen: Wissenschafts- und Argumentationstheorie liegen außerhalb der Expertise der Naturwissenschaftler*innen, die ihre Begründungsstandards für eigene Hottakes aus dem Weg zu räumen versuchen.


Preachy Article: Gegen die „Dummheit“

30. Januar 2023

„There is a cult of ignorance in the United States, and there always has been. The strain of anti-intellectualism has been a constant thread winding its way through our political and cultural life, nurtured by the false notion that democracy means that ‚my ignorance is just as good as your knowledge.'“ —Isaac Asimov

Nicht zwischen aus der Tüte gezogener Meinung und jahrelang erarbeitetem Wissen unterscheiden – ich hasse das. Auch wenn es Kontexte geben sollte, in denen Unwissenheit kein Hindernis zum Lernen sein sollte und die Barrieren ohnehin besser so niedrig wie möglich gehalten – Komplexität erhalten, unnötige Kompliziertheit vermeiden – und auch wenn komplexe Denkprozesse kontingent sind, also zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen kommen können,(1) gerade wenn die Wahrheit von dieser Welt ist, also höchstens durch Methoden und kein metaphysisches so-sein gesichert, muß der Aufwand, der in ein Urteil einfließt, Einfluß auf dessen Wert haben.

Das Alltagsdenken scheut Mühe und ist gewohnt unterinformiert zu urteilen; letzteres vielleicht einfach nur unzeitgemäß. Posttruth Strategien nutzen dies – also verbreiten Lügen nicht primär mit dem Ziel, daß diese geglaubt werden -, um die Bereitschaft zu erhöhen, Aussagen ungeprüft nach äußerem Anschein oder gar nach Lustprinzip zu glauben; daß dies eine gewisse Bereitschaft erfordert wird häufig unterschätzt, doch keine Kommunikation ist nur einseitig. Auch lassen sich gewöhnliche Leute oft von einer zusätzlichen Schwierigkeit abschrecken, echte[?] Nerds sollte sowas herausfordern. „Wissen“ wird zwar immer vor dem Hintergrund vorhandener Überzeugungssysteme und sozialer Faktoren produziert – also sind sich die Mechanismen, die Irrtum und Fakt hervorbringen unheimlich ähnlich –(2), doch sparen wir uns dies als zusätzliche Schwierigkeit erstmal für ein anderes mal auf: es gibt genug Fakten, die zu einem Zeitpunkt nicht sonderlich sinnvoll zu bezweifeln sind, es aber dennoch werden.

Benennen wir das Problem provisorisch als „Dummheit“. Das soll hier keinen Mangel an Fähigkeiten bezeichnen, den könnten wir auch niemandem vorwerfen. Nicht einmal einen Mangel an „Bildung“, denn ob und in wie weit welches Konzept von Bildung helfen kann – mit sicherheit nicht der klassenerhaltende Aspekt, den auch häufig stattdessen die Halbbildung(3) einnimmt – bleibt umstritten („seit wann ist es umstritten?“ – „seit ich das jetzt gerade getan habe!“). Alternativvorschläge werden angenommen (bisherige Kandidat*n: Ignoranz, Denkfaulheit, Borniertheit, Beratungsresistenz – schlägt m.E. alles noch nicht ganz durch). Eine Definition böte der Dummheitsbegriff von Dietrich Bonhoeffer: „Dummheit ist ein gefährlicherer Feind des Guten als Bosheit“, da Dumme in diesem Sinne Gründen unzugänglich sind. Aber durchaus „kritisch“ und gar angriffslustig sein können, wenn Tatsachen ihrem Vorurteil widersprechen. Dies gehe einher mit einer Selbstzufriedenheit, die Bonhoeffer den „Bösen“ abspricht. Zu den Umständen, mit denen diese Form der Dummheit korreliert zählen „Gesellung“ und „Macht“ anderer. „Dumme“ scheinen oft „bockig“, denken aber nicht selbstständig.

Neben der autoritären Persönlichkeit – wie in „Escape From Freedom“ eingeführt – können wir für solch ein Mindset auch auf eine Beschreibung von Sartre über Antisemiten zurückgreifen, unter dem etwas ungünstig formulierten Titel „Überlegungen zur Judenfrage“(4), speziell um die individuelle Entscheidung zur Nichtindividualität zu betonen; sich durch Mittelmaß überlegen fühlen und nur diskutieren, um den Ernst des Diskutierens herabzuwürdigen. Klar, die Autorität legt die Faktenlage fest, ein formales System – inkl. der Logik – oder gar ergebnisoffene Debatten zur Wahrheitssuche untergraben diese Autorität und werden daher als störend empfunden.

Die Gesellschaft ist von und für in dieser Bedeutung „dumme“ Leute gut eingerichtet, also muß davon abzuweichen keinen Vorteil bedeuten; zu einer Minderheit zu gehören wird eine* immer schwer gemacht. Und – wie erwähnt – sind Fakten leider ein unglaublich schwacher Zug in politischen Machtspielen. Auch erhöht Positivdenken die Leistungsfähigkeit, also die Neigung zu ein wenig angenehmer Selbsttäuschung macht ausbeutbarer, während Depressive bei Wahrnehmungsexperimenten teils gar erfolgreicher abschließen; doch hier einzugreifen führt wohlgemerkt nachgewiesenermaßen nicht zu weniger Depression.

Was tun?

Neben Präzisierung und Prüfung einer Theorie der „Dummheit“ – inkl. des Wortes -, wären auch begünstigende Faktoren genauer zu untersuchen; besipielsweise dauerhafte Angst scheint dazuzugehören, aber nicht(s) zwingend. Und auch nach didaktischen Lösungen wäre zu suchen, denn so verpönt „Bildung“ – auch wegen dessen klassistischer und ableistischer Nebenbedeutungen – als Lösungsvorschlag ist, auf Denkweisen einwirken scheint in diese Kategorie zu fallen.

Auf individueller – und hoffentlich auch mikrosozialer – Ebene schlage ich einen Ethos des Wahrheitsstrebens vor. Ethos ist nichts was jemand für andere oder für unmittelbaren Vorteil macht, es ist durch das eigene Handeln in jedem Moment zu entscheiden wer eins sein will; „Wahrheit“ ist damit eine Frage des Ethos, aber nicht nur verbietend, sondern ein Streben, also produktiv. „Wahrheit“ ein so schwierig Begriff, daß er selbst nicht die ganze Wahrheit sein kann. Aber wir können ihn mit einem selbstreflexiven Moment nutzen, also die Wahrheit über die Wahrheit suchen, über die Aufklärung – und ihre Schwächen wie Fallstricke – aufklären.

Wie sieht das jetzt praktisch aus? Hier sind nur vorläufige Vorschläge und Erfahrungen möglich; aber ist das bei guter Philosophie nicht immer der Fall? Vielleicht in den Einschätzungen möglichst faktennahe sein wollen, Wünsche hingegen in die Ziele einfließen lassen – und damit zu der Kontingenz des eigenen Handelns stehen; Neugierig sein; nach Verbesserung der Erkenntnisse und v.a. der Methoden streben – Münchhausentrilemmagefahr -; Autorität mißtrauen; versuchen, den aufwandsparenden Alltagsverstand hinter sich zu lassen, also nicht so schnell zu Urteilen zu kommen, aber sie leichter zu revidieren, aber auch nicht zu leicht, um eine Theorie in die Tiefe treiben zu können. Schon individuell erfordern solche Prozesse eine Art „Fehlerkultur“, also Verbesserungsmöglichkeiten eingestehen und zu realisieren, ohne das vorherige Handeln emotional zu verurteilen; kollektiv trifft das auf weitere Schwierigkeiten, nämlich, daß Fehler einzugestehen oftmals als Schwäche gedeutet und potentiell ausgenutzt wird, so wie, daß in vielen Zwangskontexten Fehlerkorrektur erzwungen wird, also entweder Fehler einzugestehen Nachteile bringt oder wenn nicht die Motivation(5) dazu zu fehlen scheint.

Entscheidend sind also nicht erst die „großen Fragen“, sondern wie wir uns täglich selbst formen, unser Denken trainieren. Und sogesehen ist „Overthinking“(6) eine so sinnvolle Bezeichnung dafür, wie „Overrunning“ für Jogging: Zum einen gilt es im Training zu bleiben(7), zum anderen sicher zu stellen, daß genug Denkleistung investiert wurde, dabei ist zu viel dann deutlich besser als zu wenig.

Der Kampf gegen die Dummhiet hat gerade erst begonnen!


(1) vgl. Agrippa

(2) Ludwik Fleck: Wissenschaftstheoretische Probleme; in: Lothar Schäfer, Thomas Schnelle [Hrsg.]: Ludwik Fleck : Erfahrung und Tatsache: Gesammelte Aufsätze, S. 128-146; S. 140f.

(3) Im adornitischen Sinne.

(4) Jean-Paul Sartre: Betrachtungen zur Judenfrage; in: ders.: Drei Essays; Frankfurt/M [u.a.] 1977 [Ersterscheinen: Réflexions sur la question juive 1946].

(5) Nun ließe sich fragen, was denn das für ein Menschenbild sei, in dem Leute zum richtigen Handeln unter Strafandrohung gezwungen werden müssen. Keine moralischen. Bundesminister*innen und ihr Umgang mit eigenem Versagen stellten aber optimistische frühere Modelle vor unüberwindliche Anomalien. Deutlich schlimmer als „Klimakleber“ sind Sesselkleber!

(6) Davon strikt abzugrenzen ist das s.g. „Grübeln“. Es ist unproduktiv und tendenziell schädlich. Abgrenzungskrtierien wären zum einen anhand der Methodik: Denken läuft oft nach systematiken ab und führt – gleichwohl bisweilen in „dialektischen“ (was auch immer das ist) Spiralen – weiter, während Grübeln im Kreis läuft, das Gleiche immer wieder wiederholt ohne von der Stelle zu kommen oder das Vorgehen diesem Umstand anzupassen. Zum anderen anhand der „heißen“ Emotionen: auch wenn Denken nicht komplett emotionslos sein muß, es sollte nicht von Gefühlen gesteuert sein und die emotionale Haltung zum Gegenstand sollte den Verlauf der Gedanken nicht determinieren. Grübeln trainiert somit lediglich ein an Gedanken gebundenes unangenehmes Gefühl durch Wiederholung tiefer ein, Denken hingegen kann sogar der „Sublimierung“ von Gefühlen dienen, beispielsweise Gefahren untersuchen und Handlungsalternativen Entwickeln, statt in Angst verharren.

(7) „Im Gebirge der Wahrheit kletterst du nie umsonst: entweder du kommst schon heute weiter hinauf oder du übst deine Kräfte, um morgen höher steigen zu können.“ —Nietzsche


Enddezemberpredigt 2022

24. Dezember 2022

Meine lieben Mäusegesichter, auf der Kulturellenpraxis gab es schonmal Antiweihnachtspredigten, doch ich schlage diese nicht nach, es ist lange genug her und manche Artikel müssen mehrfach geschrieben werden; hier mal ohne die Reflexionsstände abzugleichen.

Wie manche Sportereignisse und der damit verbundene Nationalismus ist auch Weihnachten eine normative Struktur Sie wuchert u.a. durch den Trick der scheinbaren Nicht-Differenz: Es wird allgemein vorausgesetzt, daß alle teilhaben – Abweichungen stehen damit immer unter Begründungszwang -, Zeichen des ganzen – so Grüße oder Dekorationen – werden großzügig rumgereicht: Es kein Entkommen! Bei Weihnachten ist dies auch dadurch besonders hartnäckig, da davon irgendwie ausgeschlossene einzuschließen oder indiviudell doch irgendwie bescheiden daran beteiligt zu sein Teil dieses Hirnviruses ist.

So viele Weihnachtslieder – vor denen es auch kein Entkommen gibt – stellen „its christmas“ nicht nur fest, wie sich vielleicht „here comes the rain again“ feststellen ließe, sondern fordern damit etwas ein; und nicht nur Handeln, sondern auch Fühlen. Und bei sowas fühle ich Abscheu. Es handelt sich nicht nur um ein unerträglich enges Netz aus Praxen – und viele verhalten sich, als hänge viel von ihrer korrekten Einhaltung ab -, sondern eine Vorschrift wie zu empfinden sei. Wir sind also nicht nur Subjekte im Sinne von Untertassentarnen, sondern unsere Subjektvität ist Teil des Systems.

Wie so häufig bei derartigen Vorschriften, sind auch diese moralisch aufgeladen. Doch gerade dies zeigt eine Schwäche des Konstrukts: Moral hat keine Saison! Zwar befinden sich Werte auf eienr Skala von verbindlich bis supererogativ, doch diese Position ist nicht an eine Planetenumlaufbahn gebunden. Also laßt Euch nichts gefallen.

Cthulhu fhtagn!