Kihihi – Begriffspolitik beim US Diskurs um Schußwaffen; über das Thema weit hnaus spannend:
In diesem Vid berichtet ein Waffenexperte – „Gun Jesus“ Ian McCollum gehört wirklich zu den wenigen, die deutlich mehr Ahnung als Meinung auf seinem Kanal verbreiten -, daß er von Pro-Waffenleuten verbal angegriffen wurde, daß er den Begriff „Assault Rifle“ nutzte und stellte klar, daß er eine klare technische Definition (übrigens auf „Sturmgewehr“ zurückgehend) verwendet, während die Gegner*innen des „Assault“ begriffs sich auf den „Assault Weapons Ban“ in den USA zwischen 1994 und 2004 beziehen, für welchen der Begriff „Assault“ seines Erachtens tatsächlich polemisch genutzt wurde.
Fangen wir mal mit einem in diesem Kontext vermutlich sogar eher kontroversen Punkt an: das „Assault Weapon“ Verbot war m.E. auf technischer Ebene wirklich äußerst inkohärent; unter der forderung, daß ähnliche sachen ähnlich behandelt werden sollten und der Annahme, daß die Gefahr, die von Schußwaffen ausgeht sich auf ihre technischen Eigenschaften reduzieren lassen. Also was auch einige Linke „materalisch“ nennen würden, bevor sie dann trotzdem wieder die „die anderen Denken das Falsche“ Kritik pullen. Ich würde sogar so weit gehen, daß viele Aspekte des Assault Weapon Ban symbolisch und historisch statt materiell-technisch motiviert waren. Zumal ein technisch sinnvolles Verbot so umfassend hätte sein müssen, daß es nicht durchsetzbar gewesen wäre und mit dem technischen kontrastiert werden sollte.
Diese These läßt sich leicht mit Beispielen unterfüttern: die TEC-9 „Faustfeuerwaffe“ ließ sich allzu leicht auf vollautomatisch umrüsten und da sie symbolisch mit „Gang Violence“ in Verbindung gebracht wurde, ist es erstmal nachvollziehbar, daß die Poliker*innen meinten, dieses Ding und alles was ihr ähnlich ist von der Straße zu kriegen. Diese Argumentationsfigur zwiebelt auch so sehr, da derzeit in den USA von rechter Seite die AR-15 Plattform – ausgelaufenes Patent begünstigt einen gigantischen Ersatzteilmarkt – wegen symbolischer Aufladung und Verfügbarkeit am häufisten für politisch motivierte Verbrechen verwendet wird. Doch da „TEC-9 und Ähnliche“ keine gesetzestaugliche Definition ist, wurden – in einigen Bundesstaaten bis heute – Pistolen mit Magazinschacht vor dem Griff als „Assault Weapons“ verboten. Was dann auch offensichtlich für Bösedinge™ eher ungeeignete Sportpistolen (zu sperrig, zu teuer, zu kleine Magazine, zu wenig Wums, Beispiel) betraf. Es sei darauf hingewiesen, daß in Deutschland Nunchaku auch für Budôgebrauch, auch mit Sollbruchstelle und Polsterung für Bösedinge™ ungeeignet gemacht verboten sind, das Phänomen ist also ein Verbreitetes.
So weit, so klar. Doch spricht keine Seite so genau darüber, daß trotz dieser symbolisch-historisch bedingten Inkohärenz die Zahl der Schußwaffentoten in den USA während des „Assault Weapons Ban“ deutlich geringer als zuvor und danach war. Von rechts nicht, da solche Zahlen ihr Weltbild gefährden und sie immernoch pseudo-anthropologisch arugmentieren können, daß eine Person diskret entweder durch eine Waffe zu* Täter*in werde oder nicht und ja auch gutes mit einer Waffe tun könne. Daß die Zahlen was Anderes belegen wird ignoriert, kleine Wahrscheinlichkeiten auf Große Zahlen sind auch etwas zunächst Kontraintuitives. Von liberal wird hingegen v.a. die Frage nicht berührt, was nun genau warum an diesem Gesetz gewirkt habe. Die Denksenke ist, daß die Debatte weitgehend stark emotionalisiert auf Pro und Contra beschränkt ist.
Nun ließe sich fragen, wo wir hier derartige denkerische Fliegengläser haben, also leidenschaftlich dualistische – „Dazwischen“ Positionen mitgemeint, da diese den Dualismus und damit dessen konstitutives Außen affirmieren und idR. doch versteckt zu einer Sichtweise neigen – Debatten wie z.B. Nahost, Rauchverbote, selbst Tempolimit – auch wenn in letzteren beiden Änderungen nötig waren bzw. sind nicht grundsätzlich anderer Betrachtung bedürfen. Aber „Dialektik“ oder gar „Dekonstruktion“ vorzuschlagen ist nichts womit sich jemand Freund*innen macht, zumal unter „Dialektik“ meist die moskauer Version („das Gegenteil von Schlecht führt zum Besseren und was dieses ist wählen wir willkürlich aus“) und unter „Dekonstruktion“ meist „widerlegen“ verstanden wird. Und Abstraktion ja eh als intellektueller Trick gilt.
Interessant an dieser – glücklicherweise doch recht fernen – Debatte ist, daß das Reflexhafte „das (Wort) darfst Du nicht sagen!“ zwar gerne mit links („Political Correctness“/“Wokeness“) in Verbindung gebracht wird – halt erfolgreiche rechte Metapolitik, daß diese Begriffe so verfingen, selbst mittlerweile unter selbstidentifiziert linken -, aber hier mindestens genau so nach Art eines Pawlow’schen Reflexes von Rechten verwendet wird. Hier auch noch gegen einen, der eigentlich grundsätzlich eher auf ihrer Seite ist; sonst ist Doppelmoral nach Zugehörigkeit ja eher Kern ihres Urteilens.
Begriffspolitik ist ohnehin etwas, das Sprachpurist*n, also Leute mit einem merkwürdig essenzialistischem Verhältnis zu Zeichenbedeutung verkennen: Sprache ist nie ein neutrales Medium. So scheinen nur dieAnderen® rhetorische Kniffe zu verwenden, während die eigene Seite sagt wie es wirklich™ ist. In den Kommentaren kann diskutiert werden, ob Schraubendreher in einem Kontext ohne Verwechselungsgefahr mit einem Schraubenzieher i.e.S. „Schraubenzieher“ genannt werden dürfen oder ob die psychologisch-philosophische Trennung von „Angst“ und „Furcht“ unbedingt konsequent in der Alltagssprache eingehalten werden muß bzw. warum technische Halbbildung besser zur Prätention als linguistische taugt.
Hier geht es erstmal nur um die Strategie, neue Begriffe einzuführen, um zum einen Zugehörigkeiten schneller ausmachen und signalisieren zu können, zum anderen darin der Gegenseite einen Nachteil dabei zu verschaffen. Eigentlich ein Vorgehen, das von konservativer, auch sogar speziell schußwaffenaffiner Seite verwendet wird:
Beispiel 1: „Suppressor“ statt „Silencer“, obwohl die ersten Schalldämpfer unter letzterer bezeichnung verkauft wurden. Wer den Wandel nicht mitmacht und „Silencer“ sagt, ist damit nicht nur als Gegner*in markiert, sondern muß sich auch technisches Unverständnis vorwerfen lassen, also nicht nur nicht den (aktuellen) „Fachbegriff“ zu verwenden, sondern ein ‚Splaining ertragen, daß so ein Ding die Waffe ja gar nicht komplett leise (die besten um die 125dB) macht.
Beispiel 2: „atom-“ zu „nuklear-„. Strategisch ähnlicher Kniff, nur hier kommt auch noch hinzu, sich auch von der eigenen früheren Nutzung und dessen Konnotationen befreien zu wollen. Wahrer Kern – haha – hieran ist leider, daß Gegner*innen bisweilen tatsächlich unterinformiert – und wahrlich, ich sage Euch: Den eigenen Kopf zu nutzen ist immer eine ethische Frage – sind.
Auch hier wieder die Denksenke von Zweiergegensätzen: Atommüll ließe sich durch Kernbeschleuniger schneller zersetzen als dies mit reinem Ablagern geschieht. Aber da die Befürworter*innen von Atom-/Kernkraft (ich bin übrigens konsequent gegen starke und schwache Kernkraft, ich lehne jegliche Materie ab!) an den Mythos der „Endlagerung“ glauben, also daß sich das Zeug ohne Folgekosten „entsorgen“ (ein Euphemismus, der genau hierfür entwickelt wurde) ließe, die Gegner*innen aber befürchten, neue Reaktoren – zumal falls die mit positiver Energiebilanz laufen – zu bauen wirke dem Ausstieg aus dieser Energiegewinnungsform entgegen, werden sich wohl keine politischen Mehrheiten für eine eigentlich sinnvoll scheinende Altlastenbeseitigung finden.
Beispiel 3: „Wahlcomputer“ vs. „Wahlmaschinen“, eine wichtige Vorentscheidung wie diese Geräte in der Debatte gedeutet werden. Wobei ein Schachprogramm auf einem Wahlcomputer zu installieren diese Vorlage dann doch äußerst elegant verwandelte.
Beispiel 4: Über Zulässigkeit von Folter oder das Trolley-Dilemma zu sprechen erhöht die Neigung die „utilitaristische“ Lösung zu akzeptieren.
Beispiel 5: Im deutschen Militärkontext wird gerne das Fugen-S überall – auch an grammatikalisch früher gebotener Stelle – weggelassen, dem Vernehmen nach wegen der Unteroffiziersbesserwisserei: „Es heißt Essenmarken, es heißt ja auch nicht Spiegelsei“. Solche leute frage ich übrigens schockiert: „Sie sind Maoist?! Damit ist doch jeder Landmann für Sie ein Landsmann!“
„Alles ist beliebig“ zu behaupten wäre auf so vielen Ebenen ein Fehler, daß dies was für andere Artikel ist. Und den Gründungsgestus der Philosophie, die (rhetorisch-psychologische) Wirkung von der Geltung eines Arguments zu unterscheiden müssen wir nicht verwerfen. Doch heißt das nicht, nach einer Reinheit der Sprache und Erkenntnis streben zu müssen. Unabhängig von der Ontologie ist die Praxis immer messy. Die Macht funktioniert nur reibungslos, so lange niemand genau versteht wie sie funktioniert. Und so sehr es sich im Zeitalter „alternativer Fakten“ lohnt nach den methodisch Gefestigten zu suchen, es wäre ein Fehler anzunehmen, daß aus Wirklichkeiten Möglichkeiten oder Ziele ohne starke Zusatzprämissen folgten. Von daher sollten wir unsere Wünsche lieber in die Ziele als in die Einschätzungen stecken.